Ich will Intendantin einer Schrebergartenanlage werden.
Eine große grüne Fläche, aufgeteilt in Parzellen, in denen verschiedenen Menschen oder Menschengruppen in Kollaboration mit Pflanzen gestalten und wachsen können.
Ein Ort der immer geöffnet ist. Für Spaziergänge, für Gespräche über den Gartenzaun. Für Ernte und Lagerfeuer.
Und eben für Kultur. Für Ausstellungen und Performances, für partizipative Projekte und Diskursveranstaltungen. Der Schrebergarten ist nicht neutral und sauber. Mal nass, mal trocken.
Nicht Black Box und nicht White Cube. Der Schrebergarten ist voll und unsymmetrisch und farbig und je nach Jahreszeit völlig anders. Denn warum sollen wir Kultur ausschließlich in scheinbar neutralen Räumen ansehen und produzieren? Kunst passiert nicht in neutralen Räumen. Kunst passiert an spezifischen, machtgeprägten Räumen. Kunst nutzt Apparate und Hierarchien, Förderstrukturen und Mythen. Kunst passiert in Gesellschaften und aus Gesellschaften heraus.
Der Schrebergarten ist Abbild seiner Zeit. Dort wächst es, es gibt Regeln und Widerstand, es gibt Parzellen, die der Wiese und dem Unkraut egal sind. Es gibt Wetter und Jahreszeiten und Sauerstoff. Das ist, wo ich Kunst ansehen will. In Verbindung zur Welt, in Verbindung zu mir. In widerständigen Strukturen, die infrage stellen, wo ich bin und was ich wahrnehme. Und auf der anderen Seite auch, wie ich produziere. Parzellen ersetzen die Ensemblestruktur. Die Parzelle ersetzt die Probebühne, den Besprechungsraum, Balkon und Aufführungsort. Die Parzelle kann alles sein und nichts.
In der Parzelle wird geprobt, entwickelt, verworfen, gegärtnert, geerntet, eingeladen, entspannt und ab und zu gemäht. Der Schrebergarten bringt Äpfel genau so hervor wie Malerei, Performance oder Musik. Der Blick über den Gartenzaun ist immer möglich. Theater sollten Orte sein, in denen alle immer willkommen sind. Wozu brauchen wir ein riesiges Haus, abgeschirmt von allem, zu dem immer nur zu bestimmten Zeiten eingeladen wird? Riesige leere Theaterfoyers, deren einziger Zweck ist, abends kurz vor und nach der Vorstellung als repräsentativer Transitort zu dienen, erscheinen mir wenig sinnvoll. Durch den Schrebergarten kann man immer gehen und beobachten was (nicht) passiert. Blicke über den Zaun sind immer erlaubt. Auch Nachfragen, wenn gewünscht.
Ich will Intendantin einer Schrebergartenanlage sein, die Hecken verschmäht und Kompost verehrt. Die Parzellen sind die Gewerke. Urban Gardening die Kantine. Die Versammlungen finden im Vereinshaus statt. Wie würde die Kunst aussehen, die in dieser Schrebergartenanlage produziert werden würde? Wahrscheinlich technisch unaufwendig. Lichterketten statt Profiler. Lagerfeuer statt Nebelmaschine. Der Schrebergarten würde prägen was und wie produziert wird. Aber es wäre naiv zu behaupten, dass die Architektur des Stadttheaters nicht prägt was und wie produziert wird. Um zu verändern wie wir in einer heutigen Welt Kunst machen (wollen), müssen wir verändern, wo wir sind und wie wir zeigen. Zum Beispiel im Schrebergarten.
Dieser Text entstand einfach so.
Er wurde geschrieben von Emilia Schlosser.